20.7.07

Bergtundra

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"Tunturi“ auf Finnisch, wo die „baumlosen Hügel“ sind, das ist die Tundra. Sie führt bis an das Eismeer heran, erstreckt sich mit ewigem Bodenfrost zirkumpolar um die Erde, wird in Alaska zum „unfruchtbaren Land“ oder den „barren grounds“, reicht dann noch bis an das ewige Eis der Polregion fort, hat hier im Land, auf den Höhenzügen der Skanden, ihre Ausläufer tief in den Süden hinunter gestreckt:Duottar“ im Samischen, was soviel wie „vidsträckta fjällviddar“ im Schwedischen heißt, das weite Hochland der Berge, die Vidda.

„Wo die Bäume nicht mehr wachsen können und auch die Weidenbüsche immer niedriger und kleiner werden“, so heißt es in den Umschreibungen der Naturwissenschaft, ja manche Botaniker sprechen sogar von „abiotischen Lebensbedingungen“.

Aber was heißt das schon, wenn man an einem wolkenverhangenen Frühjahrstag auf blühenden Matten von Rhododendron lapponicum liegt, und dort noch Zypressenheide mit weißgekräuselten Glöckchen steht, und hier noch Alpenazalee sich lachsrosa dazwischen schiebt und rings um einen, im Brausen des Windes, sich die Gipfel verhüllen, enthüllen, und Regenbögen von unten aufsteigen und Seen perlmutterfarben zu glänzen beginnen und wieder im Grau des Himmels verschwinden?

Nichts anderes doch, als daß die Blumen, die Gräser, die Büsche dichte Polster ausbilden, in Ausläufern, in Rosetten sich eng an den Boden schmiegen, auf jeden winzigen Unterschied mit anderem Wuchs und anderem Sein reagieren, und so zusammen mit Moosen und Flechten, eng miteinander verwoben und ineinander geschützt, die „rished“, die „grashed“ und „örtrika fjällängar“ bilden. Es gibt keine richtigen Worte des Südens für die Kältesteppen des Nordens, wo die Windheiden sind und die Dryasheiden, Zwergstrauchgesellschaften und krautreiche Grasheiden, Quellfluren, Frostmusterböden, Bültenmoore und Steinringzentren, Blockmeere und Schneebodenvegetation.

Der Blick wird frei, der Fuß schreitet leichter aus, und fast ist es, als könne man hier, in der Tundra der Berge, der Vidda, der endlosen Weite, auch wieder zu fliegen beginnen.

Die Freiheit, so sagen manche, fängt über der Baumgrenze an.
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(Bergtundra, S. 6)