23.8.07

Lärm

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Aber ganz egal, wer nun wann über wen oder was hier die soziale Definitionsmacht erringt, so ist das Nettoergebnis all der gesammelten Anstrengungen doch immer ein und dasselbe:

Es darf der Einzelne nämlich jetzt unter gar keinen Umständen mehr etwas selbständig tun oder gar denken. Bevor er in die Welt hinauszieht und diese entdeckt, muß er zuvor gründlich und ordentlich, tiefgründig und laut belehrt worden sein, wie er es richtig zu machen und was er auf welche Weise zu sehen und wie zu erleben hat.

Das fängt bei den einfachen Dingen des Lebens an, die uns schon lange nicht mehr an sich und einfach so, sondern immer schon mit einem die passende Empfindung, das richtige Urteil beschreibenden Eigenschaftswort gegeben sind: Der „lustige Schlüsselanhänger“, das „praktische Schalenset“, die „originellen Buchstützen aus Holz“. Dann geht die Sache nahtlos über in imperative Aufforderungen: „Fühl dich frei!“Erfülle dir deinen Traum!“Genieße die Aussicht!“. Schließlich wird man mit insinuativen Beschreibungen vollends eingekreist und eingelullt: „der Wechsel der Jahreszeiten im Norden ist ein eindringliches Erlebnis, „in Abisko ist es gemütlich.

Und immer und überall schöpft das Vorgehen dabei, ohne Scham und Grenzen zu kennen, aus dem gesamten Fundus des sozialen Gewebes, wonach Dinge soziale Wertungen symbolisieren und Ereignisse ritualisiert und mit spezifischen Gefühlsregungen belegt sind: Stöckelschuhe z.B. haben immer "erotisch", Hüttenabende in Norwegen immer „lustig und gemütlich“ zu sein. Ach ja.

Am Ende, und ehe man es sich versieht, bricht das Ganze dann plötzlich mit der gesammelten Wucht des zivilisatorischen Erbes über einen herein, von der „Umwertung des Sozialstaates“, Sparte Politik und Gesellschaft, über die neueste Botschaft aus Wissenschaft und Kultur „Killerwale sind sexy!“ bis hinein in die Zukunft und den Einstieg in die Informations- und Wissensgesellschaft, wo man, unter "http://ekoturism.org/ekoturism.htm“ prompt in den Programmpunkt einer „Einwirkung auf die Einstellung und Haltung der Touristen“ gerät...

Man hält sich die Ohren zu, es schnürt einem den Atem ab, und blind sucht man, im wirren Getöse, im kreischenden Dröhnen, im wuchtigen Lärm von Hunderten, Tausenden, Abermillionen von Stimmen, die über einem zusammenschlagen und alles begraben, nach irgend etwas Greifbarem, Festem –

Holz.

23 Millionen Kubikmeter: Geschlagen im Winter 1997/98. 29,6 Millionen Kubikmeter: Geschlagen im Winter 1996/97. 30,4 Millionen Kubikmeter...

55.000 Tonnen Kupfer. 45 Tonnen Silber. 0,0015 Tonnen Gold. Jährlich. Gewonnen aus 18.000.000 Tonnen Roherz...

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(Bergtundra, S. 74)