6.9.07

16. Juli / Tarradalen

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Tiefer kerbt sich das Tal, der Fluß verschwindet tosend in einer aufgerissenen Felsenschlucht, und nur der vorgewölbte Ausläufer des Seitenberges bewahrt noch einmal vor dem endgültigen Fall. Wacholder wachsen kniehoch herauf. Weiden breiten sich silberhell aus. Blumenwiesen schmiegen sich licht dazwischen. Storchschnabel schäumt lila-hell über gelben Tupfen vom Hahnenfuß. Sommergras wiegt sich hellgrün im Wind, schmale Weidenblätter neigen sich flirrend darüber. Über dem dunklen Bronzegoldgrün alter Wacholder streckt sich silbergrüne Blätterwirrnis herauf, streift auf jung ergrünende Nadeltriebe. Und zwischen schwarz-dunklen Wurzeln, am Grund, fließt glitzerndes, klares Wasser, blüht leuchtendes Rosarot. Im Schatten von Büschen und Bülten, am Ufersaum der Weidenbäche, leben die Orchideen fort: lindgrün glänzende Sichelblätter, wächsern schimmernde Blütenpracht.

Erste schlanke, stämmig weiße Birken stehen, Birkenwald schließt sich zusammen. Im Schatten, zwischen weißen Birkenstämmen, steigt man tiefer, watet knietief zwischen Blüten, tiefer, tiefer in das Grün hinein: Lila-helle Storchschnabelblütenblätter haften an den nassen Stiefelspitzen, Eisenhut reicht, nachtblau, dunkel, mit den Knospen hoch bis an die Schenkel.
Grober Kies von Eskerrücken häuft sich. Knorrig-weiße Birkenstämme sind bis zum Ansatz erster Äste fest umklammert von aufstrebenden Wacholdermassen. Schlanke Birken streben hoch, breiten lichte Kronen über lindgrün-weiche Wiesenhänge.

Windverwehte Wellen fahren schimmernd durch das Seggengras, seidig mattes Grün fließt sanft hinunter. Und in seiner flirrig grünen Tiefe sind unzählig-viele Orchideenwunder, größer, höher, anders aufgeblüht. Dunkles Rot gesellt sich hier zu dem Rosarot der schlanken Gymnadenia conopsea, und das Blattgrün ist getigert, blutbefleckt.

Im Talgrund werden die Blattspreiten der Segge rauher und breiter, vielfältiger. Und zwischen den Orchideen wächst, aufrecht, sonnengelb überquellend, Kaiser-Karls-Szepter herauf, dominiert mancherorts fast den Grund: lichtgelb geschwollen, dunkelrot angelaufen. Dann schieben sich wieder Bülten und Weiden dazwischen, Sumpfherzblatt und Blutauge, Altarme vom Fluß, Gräben vom Moor.


Und schließlich breitet sich ein uralter kiesiger Trockengrund aus, weißsamtiges Katzenpfötchen, zartädrig getropftes Himmelsglockenblumenblau, Goldrute und Wachtelweizen leben darauf.

Dort steht das Zelt: hingekauert neben Wacholdern und Weiden und Birken, die hochgewachsen die alte Schwemmsandfläche in der Kehre des großen Flusses ausfüllen, am tiefsten Grund des Tales, verborgen...

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(Bergtundra, S. 116)