24.8.07

16. Juni, nördl. des Gurttejohka, am Quellwasserfall

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Oben, auf der Vidda, die Überreste zweier Wohnplätze gefunden. Keine Kåten der Samen, es steht noch eine aus unbehauenen Steinen geschichtete Mauer.

Im Inneren liegen verrostete, leere, eingebrochene Büchsen. Auf den Felsen ringsherum sind ebenfalls leere Büchsen verstreut, vom Rost braun und brüchig geworden. Im flachen Tümpel einer schmelzenden Schneewächte rostet ein Haufen dieser Büchsen vor sich hin, zerböselt mit klaffenden Rissen. In der Ecke an der Mauer sind noch Überreste einer großen Batterie erkennbar, festgefroren am Boden. Stücke eines Eisenofens liegen herum, fast bis zur Unkenntlichkeit zerbrochen.

Wahrscheinlich ein Militärstützpunkt aus dem 2. Weltkrieg: Norwegen von den Faschisten besetzt, die Grenze zu Schweden ganz in der Nähe. Welcher gottverlassene kleine Haufen hat hier den Winter verbracht und sollte was überwachen?

Daß niemand nach Schweden hinüberflieht? Daß keine faschistischen Truppen nach Schweden kommen?

Absurder Gedanke in einem Land ohne Menschen, wo die Steine und Berge links und rechts dieser wahrhaft eingebildeten Grenze ganz und gar gleich aussehen. Und doch wieder: Daß Menschen „dort drüben“ umgebracht wurden und nur leben konnten, wenn sie es bis „hier drüben“ geschafft hatten.

Selten zeugt etwas so offensichtlich von der Wucht ganz und gar irrsinniger Wahnvorstellungen und ihrer Nichtigkeit wie diese verrosteten leeren Büchsen, in der Weite der Vidda verloren. Und etliche davon sind auch noch intakt, voller Nahrung gewesen, als sie zurückgelassen wurden, sprechen von der Panik, die hier einmal um sich gegriffen haben muß, von jäher Flucht.

Und lange noch später zog der Ort große und kleine Tiere an, die sich vom Inhalt der verrottenden Büchsen nährten, fett wurden an der Tollheit des Menschengeschlechts
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(Bergtundra, S. 54)