31.7.07

Aktse, 5. Jan.

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Immer noch so warm, -5° C. Immer noch der gleiche, fast unsichtbare, kleinflockige, dünne Schneefall. Immer noch kein Wind.

Gestern, als es schon lange dunkel geworden war, vermeinte man ein leises Wispern und Säuseln zu hören, so leise, daß man im ersten Aufmerken unsicher blieb, ob es nur im Ohr und im eigenen Kopf oder auch draußen gewesen war. Dann wurde das Wispern stärker: Man ging im Dunkeln und fühlte den Wind, wie er leicht über das Land und um die Hütte strich.


Aber später war wieder nur mehr die Dunkelheit, bewegungslos, ohne Geräusch.

Doch bleiben die Augen nicht ganz in Blindheit verschlossen. Wenn man nur lange genug in das Dunkle blickt, so erscheint eine Ahnung von Helligkeit an seinem Grund. Das ist der Schnee, der in sich noch einen letzten Rest seines weißen Leuchtens bewahrt hat. Und in der Hütte zeichnet sich schwach die dunklere Masse von Gegenständen gegen das allgemein-umfassende Dunkel ab.

Das Wort „Winterschlaf“ nimmt eine neue Bedeutung an.
Der Schnee so lose und tief, daß man ihn nur mühsam passieren kann. Der Tag so dahingehaucht, daß man in seinem Wenigen kaum etwas ausrichten kann.

In der Mitte der Dunkelheit ist man, geborgen im Warmen und Weichen, fast schwerelos, und die Träume beginnen Körper zu haben. Unmerklich fühlt man, wie ihre Gestalten um einen sind, sanft einen berühren. Wenn man damit nicht vertraut ist, so kann das wie ein alter Kinderschrecken sich einschleichen: Draußen vor der Tür ist undurchdringliches Dunkel. Wo man sich auch hinwendet, so bleibt hinter einem das Dunkel. Und sacht fühlt man im Rücken die wachsende Gegenwart von etwas anderem.

Aber im Schrecken des Dunklen sind immer nur die Gedanken von dem, was vergangen ist. Man muß einfach die Gegenwart so belassen, wie sie jetzt ist.

Heute wurde es erst um 10 Uhr dämmrig, und um 3 Uhr war es schon wieder völlig dunkel. Igendetwas Tiefgraues und Schwarzes muß über mir sein und auf das Fleckchen Erde hier herunter­drücken, es in sich erdrücken. Der dunkelste Tag bisher.
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(Bergtundra, S. 239)

Aktse, 3. Jan.

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Und jetzt seit zwei Tagen wieder dieses alles umschließende, tief hinabgesunkene, undurchdringlich verdichtete diesige Grau.Es läßt von dem wenigen Tag nur das Wenigste übrig: verschwommenes Restlicht, wo selbst am Mittag das Weiße des Schnees noch lichter erscheint als das Graue darüber. In ihm vergehen alle Farben, verlöschen alle Konturen. Lautloser Schneefall, und dann wieder lange nichts mehr als das blicklose Dunkel der Nacht.

Im Wald liegt der lose Neuschnee gut 1/2 m tief. Man sinkt in ihn ein, fast als wären es Federn, und dann noch einmal ein wenig tiefer in den verfestigten Altschnee darunter. Aber das natürlich nur, wenn man lange und breite „Skogsskidor“ hat, sonst versänke man wahrscheinlich ganz. Die Birken sehen aus, als ob sie eine Schlacht überstanden hätten, müde gebeugte Helden von 4 oder 10 m Größe. Der Stamm neigt sich hinunter zum Boden, die Äste schleifen schwer in das Weiße. Selbst wenn man den Neuschnee abschüttelt, so bleiben die Zweige vom Weißen umklammert – irgendwo in der Tiefe ist harter Schnee, umschließt das Zweigwerk mit eisigem Griff.


Seit dem Elch vorgestern niemanden mehr gesehen, auch keine Meisen, und im Schnee keine Spuren. Das Land versinkt in dem steigenden Weiß, in dem sich zum Dunkel zusammenziehenden Dämmer. Selbst in der Luft ist kein Widerstand mehr, nur noch –5° C anstatt –33° C.

Und herzergreifend ist, wenn aus der langwährenden Tiefe des Dunkels dann doch wieder Dämmer erwächst, das Weiß des Schnees an Substanz gewinnt, der Fichtenwald sich als zartes Schwarz vor dem Grau abzuzeichnen beginnt, Schemen von Birkengeäst im aufhellenden Himmel erkennbar werden:


Nichts anderes ist der Mittwintertag als der Hauch eines Traumes im langsamen Atmen des schlafenden Landes.

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(Bergtundra, S. 236)