Immer noch so warm, -5° C. Immer noch der gleiche, fast unsichtbare, kleinflockige, dünne Schneefall. Immer noch kein Wind.
Gestern, als es schon lange dunkel geworden war, vermeinte man ein leises Wispern und Säuseln zu hören, so leise, daß man im ersten Aufmerken unsicher blieb, ob es nur im Ohr und im eigenen Kopf oder auch draußen gewesen war. Dann wurde das Wispern stärker: Man ging im Dunkeln und fühlte den Wind, wie er leicht über das Land und um die Hütte strich.
Aber später war wieder nur mehr die Dunkelheit, bewegungslos, ohne Geräusch.
Doch bleiben die Augen nicht ganz in Blindheit verschlossen. Wenn man nur lange genug in das Dunkle blickt, so erscheint eine Ahnung von Helligkeit an seinem Grund. Das ist der Schnee, der in sich noch einen letzten Rest seines weißen Leuchtens bewahrt hat. Und in der Hütte zeichnet sich schwach die dunklere Masse von Gegenständen gegen das allgemein-umfassende Dunkel ab.
Das Wort „Winterschlaf“ nimmt eine neue Bedeutung an. Der Schnee so lose und tief, daß man ihn nur mühsam passieren kann. Der Tag so dahingehaucht, daß man in seinem Wenigen kaum etwas ausrichten kann.
In der Mitte der Dunkelheit ist man, geborgen im Warmen und Weichen, fast schwerelos, und die Träume beginnen Körper zu haben. Unmerklich fühlt man, wie ihre Gestalten um einen sind, sanft einen berühren. Wenn man damit nicht vertraut ist, so kann das wie ein alter Kinderschrecken sich einschleichen: Draußen vor der Tür ist undurchdringliches Dunkel. Wo man sich auch hinwendet, so bleibt hinter einem das Dunkel. Und sacht fühlt man im Rücken die wachsende Gegenwart von etwas anderem.
Aber im Schrecken des Dunklen sind immer nur die Gedanken von dem, was vergangen ist. Man muß einfach die Gegenwart so belassen, wie sie jetzt ist.
Heute wurde es erst um 10 Uhr dämmrig, und um 3 Uhr war es schon wieder völlig dunkel. Igendetwas Tiefgraues und Schwarzes muß über mir sein und auf das Fleckchen Erde hier herunterdrücken, es in sich erdrücken. Der dunkelste Tag bisher.
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(Bergtundra, S. 239)