26.7.07

Sápmi - real life - yeah!

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Und so kommt es denn, daß sich hier, im Windschatten der Geschichte, die allerdramatischsten Kämpfe abspielen, in denen es immer zugleich um nichts und um alles geht:

Um nichts, weil die Situation, eingeschränkt wie sie nun einmal ist, ohnehin nur noch marginale Restbestände des Daseins in den möglichen Verfügungsbereich rückt. Um alles, weil eben deswegen in jede Winzigkeit das ganze Gewicht des Verlorenen und Erhofften hineinprojiziert und – stellvertretend für alles, was nicht möglich ist – in dieser Winzigkeit ausgetragen und ausgelebt wird.

Und weil so immer alles zugleich immer vollkommen nichtig und alles entscheidend ist, ist im Kampf um die Sache auch jedes Mittel erlaubt und jedes Vorgehen rechtens:



Ganz normale Unterschichtenfamilien – sie als Saisonarbeiterin in der Fischverarbeitungsindustrie, er als Langzeitarbeitsloser etabliert – beharren, als ginge es um ihr Leben, mit erbitterter Empörung auf dem Recht, am Sonntag, beim Angelausflug, selbst die letzten Meter zum Fluß noch mit dem Auto zu fahren und dabei durch die Büsche und die Ufervegetation zu brechen. Ja, sie scheuen sich nicht, das Ganze auch noch als tiefsten Ausdruck der samischen Identität einem ausländischen Kamerateam vorzuführen, unter dessen mithelfender Regie dann schließlich selbst das gewöhnliche Grillen von mitgebrachten, im Supermarkt eingekauften Würstchen zum Ausdruck eines uralten, mystischen Einklangs mit der Natur gerät...


Gänzlich triviale, ja schlichtweg mühsame und deshalb schon fast völlig zum Erliegen gekommene Tätigkeiten wie etwa im Herbst in die Wälder zu gehen und dort Beeren und Pilze zu sammeln, mutieren, sobald sie in den samischen Kulturkreis geraten, zu bedeutungsschwangeren Akten, von denen das seelische Überleben eines ganzen Volkes abhängt, so daß – weil anders die Durchführung heute nicht denkbar erscheint – man hierfür natürlich einen Geländewagen mit Anhänger braucht, geländegängige Minitraktoren und die entsprechende Ausnahmegenehmigung für deren Benutzung in der ansonsten streng geschützten Natur selbstverständlich dazu...

Und berühmt und berüchtigt sind inzwischen die Winterwochenenden in der Finnmarksvidda, wo alkoholisierte Männergangs auf Schneemobilen, mit denen man eigentlich nur fahren darf, wenn es für die Berufsausübung zwingend notwendig ist, durch die vorgeblich so geschätzte Ödnis brausen und zur Krönung des Ganzen in gemeinnützig finanzierten Wanderhütten zu einem gründlichen Abendbesäufnis zusammentreffen.

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(Bergtundra, S. 300)